Ehrenamtliche trainieren in Münster Klimaschutz
Münsteraner Teilnehmer des Reallabors. Einige werden als Klimatrainer weitermachen. Foto: Stadt Münster /Michael C. Möller
6. März 2020 | Klimaschutz und Klimaanpassung

Münsteraner Reallabor

Ein Jahr lang arbeiteten zwölf Haushalte, 13 Unternehmen und ein Team der Stadt Münster daran, Klimaschutz im Alltag der Bürgerinnen und Bürger zu integrieren. Das gelang so gut, dass die Stadt mit den Erkenntnissen dieses „Reallabors“ nun 30 000 Münsteraner zu klimafreundlichem Verhalten qualifizieren wird. Motor des Ansatzes sind ehrenamtliche Klimatrainerinnen und Klimatrainer.

Eine Stadt kann ihren Bürgerinnen und Bürgern nicht vorschreiben, wie sie klimafreundlich zu leben hat. Gleichwohl können Städte die Transformation hin zu mehr energie- und klimafreundlichem Verhalten gestalten, beschleunigen und in Teilen steuern. Wie das gelingen kann und welche Prinzipien es dafür bedarf, hat die Stadt mit dem sogenannten Reallabor für klimafreundliche Entscheidungen herausgearbeitet – und darüber ihre kommunale Managementaufgabe in diesem Prozess weiter definiert. Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Reallabors: Wie kann man Haushalte dazu motivieren? Was brauchen sie dafür an Unterstützung? Welche Rolle spielen dabei klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen?

Haushalte und Anbieter im Boot

Entstanden ist diese Idee bei der Entwicklung der „Münsteraner Strategie für klimaschonende Entscheidungen“ im Rahmen des Masterplans 100 % Klimaschutz. Das Projekt wurde zu Teilen vom Bundesumweltministerium (BMU) gefördert. Der besondere Münsteraner Ansatz besteht nun darin, die Unternehmen mit den Verbrauchern zusammen zu bringen, um das klimafreundliche Angebot in Münster weiter oder auch neu zu entwickeln. Zwölf Münsteraner Haushalte wurden ausgewählt aus zahlreichen Bewerbern, die sich nach einem Aufruf in der Tageszeitung gemeldet hatten. Es waren aber weniger routinierte Klimaschützer gefragt, als vielmehr neugierige Haushalte, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, aber noch nicht damit begonnen hatten. Dabei spielten ganz unterschiedliche Motive eine Rolle.

Zunächst ging es darum, die Motivation zu erfragen, daraus individuelle Ziele und die ersten Schritte dahin zu ermitteln. Dies gelang durch Klimaberatung in den Haushalten. Die Coachings übernahmen die Stadt und ausgebildete systemische Trainer. Ergebnis des Coachings war ein individueller Maßnahmenplan: Darin setzte sich jeder Haushalt in den Bereichen Mobilität, Konsum und Ernährung, Wohnen und Energie persönliche Ziele und Schwerpunkte.

Ökoroutinen etablieren

Mit ihrem Maßnahmenplan ausgestattet begannen die Haushalte ihren Alltag auf den Prüfstand zu stellen. Unterstützung gab es in der ersten Phase von 13 beteiligten Münsteraner Unternehmen, Initiativen und Vereinen. Sie stellten konkrete, alltagstaugliche Dienstleistungen und Produkte zur Verfügung und berieten die Haushalte als „Themenpaten“. Neugierig, engagiert und mit viel Spaß an der Sache ließen sich die Teilnehmenden auf viele kleine und große Experimente ein: Wie gut lässt sich ein Lastenfahrrad tagtäglich bewegen? Lässt sich auch ein batterieelektrisches Stadtteilauto in den Alltag integrieren, wo gibt es eine Elektroladesäule im Viertel? Wie kann Plastik eingespart und wie können Lebensmittel haltbar gemacht werden? Wo sind die Stromfresser im Haushalt?

Für die Unternehmen, Initiativen und Vereine bot das Reallabor die Chance, Ideen für neue Angebote und Dienstleistungen, aber auch altbewährte Produkte durch die Teilnehmer testen zu lassen. Nach der Probierphase wurde dann der Schwerpunkt darauf gelegt, das Erlernte zur Gewohnheit werden zu lassen. Denn nur einmaliges Ausprobieren reicht nicht dazu aus, echte Alltagsroutine zu entwickeln. Unterstützt durch einen Trainingsplan, weitere Austauschtreffen und eine gemeinsame Kollaborationsplattform konnten die Haushalte vieles in ihrem Alltag verändern und bis Projektende etablieren. Und tatsächlich: Die Haushalte sind auf den Geschmack gekommen. Die meisten haben viel mehr umgesetzt, als sie sich zu Anfang zugetraut haben. Das Auto wird häufiger stehengelassen, Urlaubsreisen bewusster geplant und auf Flugreisen verzichtet. Alte, stromfressende Kühlschränke wurden gegen neue ausgetauscht. In Workshops haben sie gelernt, Putzmittel selber herzustellen und Lebensmittel haltbar zu machen.

Was bedeutet das für Münster?

Viele Haushalte machten dabei eine besondere Erfahrung: Sie können aktiv etwas für den Klimaschutz tun – und das macht auch noch Spaß. „Das dafür aber auch erstmal die bisherige Komfortzone verlassen und umgedacht werden muss, ist klar“, betonte ein Teilnehmer. Aber auch für die Unternehmen hat sich das Reallabor gelohnt. Viele befinden sich mit ihren Angeboten noch in einer Startphase. Jeder Test ist für sie ein kleines Experiment, von dem sie lernen können: „Mit dem Reallabor können wir reale Entscheidungsprozesse für mehr Klimaschutz im Alltag beobachten und daraus lernen, wie unsere Angebote passgenauer weiterentwickelt werden können“, schildert eine beteiligte Unternehmerin.

Der Erfolg wird nach Evaluation des Reallabors deutlich: Im Schnitt hat jeder Haushalt innerhalb des Projektzeitraums seinen CO2-Fußabdruck um 2,5 t reduziert. Hochgerechnet auf alle privaten Haushalte in Münster entspricht das einer Reduktion von 380 000 t CO2-Äquivalente pro Jahr – oder dem jährlichen Verbrauch von 167 000 PKW (wobei in Münster nur 140 000 PKW zugelassen sind).

Insgesamt werden vier Erfolgskriterien deutlich: (1) Teilnehmende Haushalte wählen für sich Klimaschutzthemen im Alltag aus und setzen selbständig Veränderungsziele nach Interesse und eigener Selbsteinschätzung. (2) Das Klimacoaching hilft bei der Identifikation der Veränderungsziele, der Erarbeitung eines individuellen Maßnahmenplans und beim Verstetigen der veränderten Verhaltensweisen. (3) Die Unternehmen engagieren sich als „Themenpaten“ und bieten Möglichkeiten zum Testen und Ausprobieren klimafreundlicher Alternativen. (4) Diese Anbieter profitieren von den realen Testerfahrungen der Entscheider und deren Feedback.

Fazit: Alle würden noch mal teilnehmen und es in der Familie, im Freundeskreis und in der Nachbarschaft weiterempfehlen. Aber damit nicht genug. Für die Stadt ist klar: Das Projekt wird fortgesetzt und die Ansätze und Erkenntnisse in die Breite getragen. Wie das gelingen kann, ist auch Ergebnis des Reallabors: Viele der Teilnehmenden möchten dabei helfen. Eine Teilnehmerin hat das für sich wie folgt formuliert: „Ich hab zwischendrin nochmal gemerkt, wie spannend ich das finde, Teil des Ganzen zu sein und dass es mich richtig zufrieden macht, selbst etwas beitragen zu können und in Münster mitzuhelfen, die Welt ein bisschen besser zu machen.“

Selbstwirksamkeit erhöhen

Die Reaktionen der Teilnehmer machen einen wichtigen Hebel für mehr Beteiligung im Klimaschutz deutlich: das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Die gesellschaftliche Diskussion zum Klimawandel offenbart Konflikte. Menschen reagieren auf große Veränderungen und Krisen mit einer Opferhaltung („Ich selbst kann nichts tun, um den Klimaschutz voranzubringen“), die Verlagerung der Verantwortung („Andere sind schuld und schützen das Klima zu wenig“) oder der Verneinung („Ich finde, das wird übertrieben“). Im Fall der gesellschaftlichen Transformation ist es demnach wichtig, Möglichkeiten aufzuzeigen, die eigene Kontrolle zurückzugewinnen.

Die Stadt Münster zieht daraus den Schluss, ihre Bürger dazu zu ermutigen, ins Handeln zu kommen, indem sie Handlungswissen fördert. Die Bürger sollen konkret erfahren, dass sie etwas tun können. Dabei geht es nicht darum, zu belehren. Sondern darum, auf sich selbst zu achten und so einen positiven Impuls für andere zu schaffen. Die Lösung: Eingebettet in die bereits bestehende Mitmachkampagne fürs Klima, der „KlimaMischpoke“ (Mischpoke ist Masematte, Münsters alte Geheimsprache, und bedeutet Gesellschaft), wird die Stadt unterschiedliche Ebenen anbieten, um selber ins Mitmachen und Handeln zu kommen. Angefangen bei niederschwelligen Angeboten, wie einer ersten Erklärung, sich mit einfachen Maßnahmen zu beteiligen, reichen die Offerten bis hin zu ehrenamtlich getragenen Klimatrainings und weiteren Reallaboren. Ein besonderer Ansatz sind die „KlimaTrainerinnen und KlimaTrainer“, denn damit bekommt das Ehrenamt ein ganz neues Gesicht.

Ehrenamtliche Klimatrainer

Klimatrainer sind ehrenamtliche Prozessbegleiter. Münster bildet sie mit einem passgenauen Konzept aus. Die Stadt stellt Trainingswerkzeuge und sichert einen guten organisatorischen Rahmen. Die Klimatrainer begleiten jeweils eine Gruppe von fünf bis acht Personen über vier Monate. Dabei erarbeiten die Teilnehmenden einen individuellen Maßnahmenplan, erstellen eine individuelle Klimabilanz und setzen den Maßnahmenplan um. Hierfür werden bis zu vier Workshops in eigens von der Stadt bereitgestellten Räumlichkeiten durchgeführt. Die Aufgaben der Trainer bestehen darin, den Austausch in den Kleingruppen zu moderieren, Fragen zum Ablauf zu beantworten und spezielle Trainingswerkzeuge mit den Teilnehmern anzuwenden. Im Prozess werden sie von Anbietern und Beratern fachlich unterstützt.

Die Kleingruppen können aus dem Bekanntenkreis, Arbeits- oder Schulumfeld oder der Nachbarschaft bestehen. Oder sie werden von der Stadt aus den Bewerbungen interessierter Bürger zusammengestellt: Jede Bürgerin und jeder Bürger Münsters über 16 Jahre kann sich als Klimatrainer bewerben. Die Auswahl erfolgt nach persönlichem Gespräch. Voraussetzung sind verpflichtende Schulungen und Fortbildungen. Die ersten Klimatrainer stehen schon fest: Es sind Teilnehmer am Reallabor. Verteilt auf viele Hände sollte die Transformation Wirklichkeit werden können. Noch vielversprechender wird es, wenn kommunales Management auf Bottom-up-Bewegungen trifft und sie sich gegenseitig bedingen. In der 300 000-Einwohner-Stadt Münster hat sich eine große Fridays-for-Future-Bewegung etabliert. Allein am 20.September des vergangenen Jahres haben sich 25 000 Menschen auf der Straße gezeigt und für mehr Klimaschutz demonstriert. Da sind die 30 000 bis 2030 erst der Anfang.

Autorin: Caroline König; Artikel aus  UmweltBriefe März 2020.

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