Symbolbild für Klimaneutralität: Löwenzahn in grüner Wiese
Was meint eigentlich klimaneutral genau? Foto: blende11.photo/AdobeStock
19. Juli 2021 | Bürgerinfo

Klimaneutralität: Auf dem Pfad zur Netto-Null

Die EU will es bis 2050 schaffen, Deutschland schon fünf Jahre früher, einige Kommunen sogar noch eher: Plötzlich versprechen alle, „klimaneutral“ werden zu wollen und setzen sich dafür ein Jahresziel. Meistens ist dabei von Klimaneutralität die Rede, manchmal auch von Treibhausgasneutralität oder CO2-Neutralität. Doch was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?

CO2-Neutralität reicht nicht

Wenn Staaten sich CO2-Neutralität zum Ziel setzen, wollen sie womöglich nur ihren Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (Summenformel CO2) reduzieren. Das will z.B. China bis 2060. Nicht adressiert sind dabei Klimagase wie Methan (CH4), das in der Landwirtschaft aus Rindermägen und Gülle entweicht, auch aus Leckagen von Erdgasleitungen oder tauenden Permafrostböden. CH4 gilt als 23-mal klimawirksamer als CO2.

Weitere Klimagase wie das beim Düngen entstehende Lachgas (N2O, 298-mal schädlicher) oder die aus Kälteanlagen entweichenden Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW, 100- bis 24.000-mal klimawirksamer) werden ebenfalls bei CO2-Neutralität ausgeklammert. Will man also die Emissionen aller Gase eindämmen, die zum Treibhauseffekt der Erde beitragen, ist der Terminus Treibhausgasneutralität präziser.

Treibhausgasneutralität als Gleichgewicht

Deutschland will bis 2045 treibhausgasneutral sein. So steht es im deutschen Klimaschutzgesetz. Darin ist die „Netto“-Treibhausgasneutralität auch definiert, und zwar als „das Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken“.

Netto, Neutralität, Gleichgewicht – es geht also mitnichten darum, sämtliche Klimagasemissionen bis aufs letzte Gramm zu eliminieren. Sondern es soll nur noch so viel klimaschädliches Gas ausgestoßen werden, wie auch wieder abgebaut bzw. gebunden werden kann, zum Beispiel von neuen, aufgeforsteten Wäldern oder renaturierten Mooren. Moore, Böden und Wälder werden als „Senken“ bezeichnet, weil sie CO2 aufnehmen können und damit dessen „erhitzendes Zuviel“ in der Atmosphäre senken. Dass der CO2-Gehalt in der Luft weltweit nicht mehr ansteigt, ist der alles entscheidende Schritt, um den Klimawandel zu bremsen.

Und was bedeutet nun Klimaneutralität?

Dieser Terminus meint streng genommen noch mehr als Treibhausgasneutralität. Klimaneutralität habe nicht nur menschengemachte Treibhausgase im Blick, so die Definition des Weltklimarats IPCC. Vielmehr sei es ein Zustand, in dem „menschliche Aktivitäten keine Nettoauswirkung auf das Klimasystem haben“. Will ein Staat also in der Tat „klimaneutral“ werden, müsste er nicht nur seine Emissionen von CO2, CH4, N2O und FCKW auf Netto-Null reduzieren, „sondern auch alle anderen Handlungen unterlassen oder ausgleichen, die das Klima beeinflussen“. Dazu zählen z.B. Änderungen der Landnutzung wie auch der Ausstoß von Ruß- und Aerosolpartikeln aus Fahr- und Flugzeugen.

Was sind negative Emissionen?

Damit bezeichnet man CO2, das der Atmosphäre wieder entzogen wird, etwa durch:

  • Aufforstung: Je nach Baumart, Baumbestand, Bodengüte, Regionalklima und Bewirtschaftung kann ein Hektar Wald pro Jahr zwischen 0,7 und 10 t CO2 aufnehmen.
  • Biokohle: Wenn Pflanzen absterben und vermodern, geht wieder CO2 in die Luft. Dies lässt sich verhindern, wenn man die Pflanzenreste bei hohen Temperaturen unter Luftabschluss erhitzt. Die dabei entstehende „Pflanzenkohle“ kann man in Böden einarbeiten.
  • Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS): Schnell wachsende Monokulturen werden in Biomassekraftwerken verbrannt und dabei Strom erzeugt. Das dabei ausgestoßene CO2 wird aufgefangen und unterirdisch gespeichert.
  • Direktabscheidung und Speicherung von CO2 (DACCS): Mittels chemischer Prozesse wird CO2 aus der Umgebungsluft gefiltert und dann unterirdisch gespeichert.

So gelingt die eigene Klimaneutralität

  1. Wo liegt Ihr CO2-Ausstoß? Mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes  https://uba.co2-rechner.de/de_DE/ können Sie selbst Ihren persönlichen CO2-Ausstoß ermitteln. Er enthält neben Wohnen, Mobilität und Ernährung auch die Bereiche Konsum und öffentliche Infrastruktur. Der Rechner wurde 2020 aktualisiert.
  2. Von elf auf zwei. Wir in Deutschland haben heute im Durchschnitt einen jährlichen Pro-Kopf-Ausstoß von elf Tonnen CO2. Das ist viel. Wir müssen noch etliche Hausaufgaben erledigen, um das Zwischenziel von 88 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 bis 2040 zu erreichen; das bedeutet weniger als 2 t CO2 pro Person.
  3. Genuss ohne Reue. Wer im Biosupermarkt einkauft, Ökostrom und Biogas bezieht, die energieeffizientesten Geräte kauft, zu zweit auf 120 m2 in einem gut gedämmten Mehrfamilienhaus in der Stadt wohnt und es zu anstrengend findet, ein eigenes Auto zu besitzen, deshalb Carsharing nutzt, kommt auf 7,9 t CO2 im Jahr, also 30 Prozent unterm Durchschnitt.
  4. Do it yourself. Wer im gut gedämmten Passivhaus wohnt, das keine Heizung mehr benötigt, eine Solaranlage auf dem Dach hat, ein spritsparendes Drei-Liter-Auto fährt und sich keine Fernreisen leistet, liegt mit mit 6,4 t CO2 pro Jahr bereits 40 Prozent unterm Durchschnitt.
  5. Weniger ist mehr. Noch klimaverträglicher lebt, wer Rad fährt, seinen Wohnort arbeitsnah und die Wohnung klein wählt, sparsam heizt, Ökostrom effizient nutzt, Flugreisen meidet, dafür sich vegetarisch und Bio ernährt und „an Weihnachten auch noch für 200 Euro CO2-Zertifikate der Industrie aufkauft, um diese dem Markt zu entziehen“. Dann stünden 5,2 t CO2 zu Buche, was Spitze und kaum zu toppen ist.
  6. Kompensation. Wer berufsbedingt viel unterwegs sein muss, viel Zug fährt, aber auch fliegt, daneben noch 15000 private Autokilometer abreißt, selten zu Hause ist in einer 80-m2-Wohnung, liegt wenig verwunderlich mit 18 t CO2 um mehr als die Hälfte über dem Durchschnitt. Diese miserable Klimabilanz ließe sich ausgleichen, indem man jährlich an einen seriösen Kompensationsanbieter spendet, der das Geld in UN-zertifizierte Kimaschutzprojekte investiert.

Weitere Informationen: UBA-Broschüre „Klimaneutral leben“  Klimaneutral leben | Umweltbundesamt

Autor: Tim Bartels, aus  UmweltBriefe, Juli/August 2021.

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