Der Sachstandsbericht des IPCC zeigt, das Zeitfenster, in dem wir noch etwas gegen den Klimawandel tun können, schließt sich.
Der Sachstandsbericht des IPCC zeigt, das Zeitfenster, in dem wir noch etwas gegen den Klimawandel tun können, schließt sich. Grafik: Ricochet64/AdobeStock
12. April 2023 | Klimaschutz und Klimaanpassung

IPCC-Bericht: Eine Plus-anderthalb-Grad-Welt

Man müsse damit anfangen, sich ernsthaft mit der Welt jenseits von 1,5 Grad Celsius Temperaturanstieg zu beschäftigen, besagt der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht. Nach drei Sonderberichten und drei Arbeitsgruppenbeiträgen haben die mehr als 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun zum Ende ihres sechsten Berichtszyklus am 20. März noch einen abschließenden Synthesebericht veröffentlicht. Dessen klare Botschaft: Politisches Handeln ist dringend notwendig, das Zeitfenster schließt sich.

IPCC-Synthesereport: Klimawandel deutlich spürbar

Neun Jahre, nachdem der Berichtszyklus 2014 beendet war, weiß die Forschung nun, dass die Risiken größer geworden sind, und wir die Auswirkungen ja auch bereits spüren. „Wir sehen den Klimawandel auch hier bei uns viel, viel stärker als vor achteinhalb Jahren“, sagt IPCC-Autor Matthias Garschagen von der LMU München im Science Media Center (SMC). Im neuen IPCC-Synthesereport steht das nüchtern so: „Es haben weitverbreitete und schnelle Veränderungen in der Atmosphäre, im Ozean, in der Kryosphäre und der Biosphäre stattgefunden. Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus. Dies hat zu weitverbreiteten nachteiligen Folgen und damit verbundenen Verlusten und Schäden für Natur und Menschen geführt.“

Temperaturanstieg stoppen

Nach Klimamodellen in Prognosen ausgedrückt, heißt das: Ab 2030 beträgt die Wahrscheinlichkeit 40 bis 60 Prozent, „dass wir den 1,5 Grad Temperaturanstieg überschreiten“, sagt Gerhard Krinner von der Uni Grenoble im SMC. Davon wolle man sich aber nicht kirre machen lassen, meint Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Jedes Zehntel Grad wird wichtig sein, auf welchem Niveau auch immer“, sagt Geden. Schließlich müsse man es ja überhaupt erst mal schaffen, den Temperaturanstieg zu stoppen.

Mehr Geld für Klimaschutz und Anpassung

Im IPCC-Bericht einigte man sich da auf folgenden Satz: „Die Begrenzung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung erfordert netto Null CO2-Emissionen.“ Ohne weitere, tiefgreifende Verringerung des CO2- Ausstoßes werde die immer noch bestehende Infrastruktur für fossile Brennstoffe das verbleibende Kohlenstoffbudget für 1,5 °C überschreiten. Laut dem Bericht fließt weltweit immer noch mehr Geld in die fossile und damit klimaschädliche Infrastruktur als in Klimaschutz und Anpassung. Das ist fatal.

Netto-Null oder negative Emissionsbilanz notwendig

Damit hat sich die Wahrscheinlichkeit, die Erderwärmung um 1,5 Grad langfristig zu überschreiten, im Vergleich zum IPCC-Sonderbericht von 2018 weiter erhöht. Nur „eine tiefgreifende, schnelle und nachhaltige Verringerung der Treibhausgasemissionen würde zu einer spürbaren Verlangsamung der globalen Erwärmung innerhalb von etwa zwei Jahrzehnten führen“, heißt es im Bericht. Es sei theoretisch auch möglich, die Temperaturen nachträglich wieder zu senken. Dafür wäre aber nicht bloß die „Netto-Null“, sondern „eine negative Emissionsbilanz“ notwendig. „Dies würde im Vergleich zu Pfaden ohne Überschreitung einen zusätzlichen Einsatz von Kohlendioxidentnahme erfordern, was zu größeren Bedenken hinsichtlich Machbarkeit und Nachhaltigkeit führt“, so die vage Formulierung im Report.

Noch haben wir es in der Hand

„Noch haben wir es in der Hand“, sagt Anthropogeographie-Professor Matthias Garschagen. „Leider haben wir die vergangenen Jahre verpennt.“ Das Fenster, das Schlimmste abzuwenden, schließe sich rapide. Das, so Garschagen, müsse jetzt endlich verstanden und in konkretes Handeln überführt werden. Die Berichte des IPCC geben keine konkreten Lösungswege oder Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung des Klimawandels vor – „aber sie sind die evidenzbasierte Grundlage für politische Entscheidungen“, schreibt das Umweltbundesamt.

Chefsache Klimaschutz

Der Bundeskanzler müsse Klimaschutz zur Chefsache machen und sicherstellen, dass alle Ressorts hier vorangehen, fordert die Klima Allianz Deutschland. Und dazu gehört es, die IPCC-Berichte auch wirklich zu lesen, zumindest die kurzen Zusammenfassungen für Entscheidungsträger:innen. Das verlangt auch der Potsdamer Klimafolgenforscher Stefan Rahmstorf. Gegenüber Riffreporterin Marianne Falck sagte er: „Ich habe den Eindruck, dass viele Abgeordnete da ihre Hausaufgaben nicht machen und sich nur aus den Medien informieren – das darf nicht sein.“

Synthesebericht zum Sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6), Hauptaussagen aus der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung (SPM):  Hauptaussagen_AR6-SYR.pdf (de-ipcc.de)

Der gesamte IPCC-Synthesebericht auf Englisch:  Synthesis Report — IPCC

Autor: Tim Bartels,  UmweltBriefe, April 2023

 

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