Mindestens ein Viertel aller Kommunen bearbeitet bereits Nachhaltigkeitsthemen. Das ergab eine Auslese kommunaler Internetseiten, sogenanntes Webscraping: Ein spezielles Tool fahndete nach 200 Schlüsselwörtern auf 110 000 Webseiten der deutschen Landkreise, Städte und Gemeinden. Die Ergebnisse stellte Auftraggeberin Bertelsmann Stiftung auf dem gemeinsam mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) veranstalteten Kommunalkongress Ende Juni in Berlin vor.
Status quo der Nachhaltigkeitsaktivitäten in Kommunen
In Deutschland haben bisher 271 Kommunen die Resolution zur Agenda 2030 unterzeichnet. Diese Städte, Gemeinden und Landkreise bekennen sich damit explizit zur Umsetzung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele, kurz SDGs (Sustainable Development Goals). Doch ob der Unterzeichnung auf lokaler Ebene auch amtliche Taten folgen, ist nicht umfassend und belastbar bekannt. Die SDGs, unter denen nicht nur SDG 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ die Kommunen betreffen, sondern zwei Drittel der 17 Ziele, sind ja keine kommunale Pflicht.
„Wir wissen nicht, wie viele Kommunen in Sachen Nachhaltigkeit wirklich unterwegs sind“, sagte Kirsten Witte von der Bertelsmann Stiftung. Zehn Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 fehlten belastbare Zahlen zum kommunalen Nachhaltigkeitsengagement. Das Webscraping der kommunalen Webseiten sollte nun Aufschluss darüber bringen: Von den derzeit 11 275 Kommunen in Deutschland (Stand 31.12.2023), ließen sich 10 215 kommunale Webadressen generieren, und davon hat das Tool 8 735 Seiten der Städte und Gemeinden technisch erreichen und auslesen können.
Ergebnisse des Webscrapings zum kommunalen Nachhaltigkeitsmanagement
Unter den Keywords, nach denen gesucht wurde, waren nicht nur Agenda 2030, Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitsziel, SDG, Nachhaltigkeitsmanager, -strategien, -berichte, -haushalte und -checks, sondern auch SDG-Indikatoren, Zukunftsfähigkeit, Transformation, Globale Verantwortung, Gemeinwohlökonomie, EMAS (Eco-Management and Audit Scheme), INSEK (Integriertes Stadtentwicklungskonzept) und auch Maßnahmen oder Themen wie Klimaschutzstrategie, BNE (Bildung Nachhaltige Entwicklung), Mobilitätskonzept und Kreislaufwirtschaft. Nun weiß man immerhin so viel: In 2 859 Kommunen (25 Prozent) mit rund 52 Millionen Einwohner:innen hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) mindestens einen Hinweis auf „Nachhaltigkeit“ bzw. Nachhaltigkeitsthemen gefunden. Zu deren Darstellung nutzen 1 217 Kommunen (11 Prozent) eine eigene Unterseite (…/nachhaltigkeit).
Die häufigsten Nennungen seien „Nachhaltigkeit allgemein und im Sinne der UN, integrierte Stadtentwicklung und Klimaschutz“, sagt Oliver Peters vom Difu. Mindestens 450 Kommunen verweisen auf die globalen Nachhaltigkeitsziele; mindestens 139 nutzen Instrumente des kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements und stellen sie der Öffentlichkeit zur Verfügung. Weitere Ergebnisse: Das Viertel der Kommunen, die sich Nachhaltigkeitsthemen widmen, seien in der Regel überdurchschnittlich groß und finanziell gut ausgestattet. „Regionale Schwerpunkte liegen in NRW, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen“, heißt es.
Herausforderungen bei der strategischen Steuerung
Wie das Difu herausfand, finde „eine strategische Steuerung von Nachhaltigkeitsthemen vergleichsweise selten statt“. Vielmehr werde das Thema in bestehende Prozesse eingebettet. In vielen Kommunen lauft das Thema unter Klima, Umwelt oder Stadtentwicklung.
Überdies täten Kommunen viel mehr, als die KI-Recherche gefunden habe. Das betreffe insbesondere kommunales Tun im Sozialbereich (z.B. für die SDGs 1 „Armut“, 3 „Gesundheit“ und 4 „Bildung“) und in der lokalen Wirtschaft (etwa in den SDGs 8 „Arbeit“ und 9 „Innovation und Infrastruktur“). Wo es aber hapere, betont Niels Albers von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt: „Beim systematischen Vorgehen.“ Es werde nicht gemessen, ob Maßnahmen wirkten. Und es gebe eher wenig Verknüpfung mit der Finanzplanung. „Die Verwaltung kann am Ende des Tages nicht sehen, inwieweit das Geld, das zur Verfügung steht, für nachhaltige Ziele verwendet wird“, sagt Albers.
Nachhaltigkeitshaushalte
Um dies zu erreichen, bräuchte es einen kommunalen Nachhaltigkeitshaushalt, der darin auf Ebene der Produkte bzw. Produktgruppen entsprechende Ziele, Kennzahlen bzw. Indikatoren anbringt. „Wenn man also das Produkt aufruft, muss gleichzeitig das Ziel klar sein“, sagt Klaus Reuter von der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW.
Der Nachhaltigkeitshaushalt dürfe nicht nur eine „andere, charmante Darstellungsweise“ sein, warnt LAG21-Chef Reuter. Wolle man damit wirklich „wirkungsorientiert“ steuern, könne man damit vielmehr Ressourcen erkennen, die eben nicht nachhaltig sind.
Vorreiter: Freiburg, Detmold und Kassel
Nach beispielsweise den Vorreiterkommunen Freiburg und Detmold hat nun auch die Stadt Kassel einen Doppelhaushalt 2025/2026 verabschiedet, der die Finanzströme anhand der SDGs darstellt. „Wichtig war uns, für ein Produkt auch nur ein Nachhaltigkeitsziel zu hinterlegen“, referierte in Berlin Kassels Leiter für Haushalt und Finanzen, Timo Vogt. Als theoretische Grundlage hatte man in Kassel bereits 2023 ein „Produktbuch Plus“ erarbeitet und darin 65 tatsächlich genutzten Produktgruppen SDGs zugeordnet. Zudem wurden SDG-Indikatoren und deren Berechnung bei den Produktgruppen dargestellt.
Beispielsweise wird nun in der Kasseler Abfallwirtschaft (SDG 12 „Nachhaltiger Konsum und Produktion“) das Aufkommen an Haushaltsabfällen pro Kopf (ohne Elektroaltgeräte) berechnet, ein Typ1-Indikator nach dem SDG-Portal, dessen Daten also leicht und flächendeckend recherchierbar sind.
Kassel vergleicht somit einen Produkt- und einen Nachhaltigkeitshaushalt, deren Finanzströme in der Summe identisch sind. Timo Vogts erste Erkenntnisse: „Das meiste Geld gibt die Stadt an Transferleistungen und für Schulsanierungen etc. aus“, zahlt demnach an die SDGs 1 „Arbeit“ und 4 „Bildung“ ein.
Weg vom Silodenken
Nicht nur die großen und reichen Kommunen sollten ein Nachhaltigkeitsmanagement installieren, empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung. Vielmehr könnten „besonders kleine Kommunen kooperieren, um Synergien zu nutzen“, so deren Leiterin des Zentrums für Nachhaltige Kommunen, Kirsten Witte. Die Landkreise wurden hier „eine wichtige Bündelungsaufgabe“ wahrnehmen. Und Bund und Länder müssen dabei unterstützen, damit wir „mehr Fläche machen“, so Witte. Man müsse weg vom Silodenken der Ministerien.
Autor: Tim Bartels, in: UmweltBriefe September 2025
Über den Kongress informiert die Bertelsmann Stiftung unter: Kommunalkongress 2025 Jetzt erst recht – Nachhaltige Entwicklung wirkt
Zum SDG-Portal der Bertelsmann Stiftung: SDG-Portal
Über ihren ersten Nachhaltigkeitshaushalt berichtet die Stadt Kassel unter: Haushalt der Stadt Kassel | Stadt Kassel
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