Was für die Jugend dieser Welt die Fridays-for-Future-Bewegung, ist den Kommunen ihr „Klimanotstand“. Foto: AdobeStock
6. April 2020 | Klimaschutz und Klimaanpassung

Im Klimanotstand

Was für die Jugend dieser Welt die Fridays-for-Future-Bewegung, ist den Kommunen ihr „Klimanotstand“. Mit solcherart Beschluss reagieren die Gemeinden auf die Forderung der Klimaaktivisten. Nachdem sich weltweit Metropolen wie Basel, London, Los Angeles, Oakland und Vancouver diesen Begriff, englisch: Climate Emergency, auf die Fahnen geschrieben haben, sind auch viele Städte hierzulande diesem Beispiel gefolgt. Im Mai 2019 erklärte Konstanz als erste deutsche Kommune den Klimanotstand. Bis Mitte Juli 2019 appellierten laut Wikipedia 740 Gebietskörperschaften in 16 Staaten weltweit für mehr Anstrengungen im Klimaschutz.

Strittiger Begriff Klimanotstand

Auch das Europaparlament in Straßburg verabschiedete Ende November des vergangenen Jahres mehrheitlich eine Resolution über den Klimanotstand. Dabei forderten einige deutsche Abgeordnete vergeblich, dass statt von einem Notstand von einem „Notfall“ gesprochen werde. Und selbst auf der untersten Verwaltungseinheit beschließt man den Klimanotstand, wie die Bezirksvollversammlung im Berliner Stadtteil Neukölln am 9. März bewies.  Nicht alle nennen es Klimanotstand oder Climate Emergency. Berlin beispielsweise erklärte am 10. Dezember 2019 als erstes Bundesland die „Klimanotlage“.

Bezeichnung bisher nur Symbolpolitik

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) registrierte bis jetzt 97 deutsche Kommunen mit einem derartigen Beschluss. „Es gibt aber auch 31 Städte und Gemeinden, die es abgelehnt haben“, sagt dessen Umweltleiterin Cornelia Rösler. Zum Beispiel die Stadt Braunschweig. „Es gab einen Antrag dazu, der wurde dann abgelehnt“, sagte Braunschweigs Klimaschutzmanager Matthias Hots gegenüber dem N-Journal. Die Bezeichnung Klimanotstand sei ja auch erst einmal nur Symbolpolitik, so Hots weiter. „Wichtig wäre, dass tatsächlich alle städtischen Projekte auf Klimawirksamkeit überprüft werden, dafür brauche ich keinen Klimanotstandsbeschluss.“ Der Begriff polarisiere, meint der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Alexander Bonde, der vergangenen Januar zu einer Tagung zum kommunalen Klimanotstand in den DBU-Sitz nach Osnabrück einlud. Titel: Meine Kommune im Klimanotstand – was nun?

Man muss ja nicht gleich mit dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben an Notstandsgesetze (von 1968) und Ausnahmezustände im Kriegsfall oder zur Sicherung totalitärer Regime denken. Doch nicht wenige meinen, dass der geltende Rechtsstaat und seine garantierten Freiheiten ausgehebelt werden könnten, wenn öffentliche Autoritäten den Notstand ausrufen. Hier geht es aber um Klimanotstand. Dass er nur symbolisch gemeint sei, oder dass er keinerlei rechtliche Konsequenzen habe, wurde immer wieder kritisiert. Diese Diskussion interessiere Alexander Bonde „weniger stark“, sagte er in seiner Begrüßungsrede In Osnabrück vor 200 Kommunalvertretern. Das vielfache Ausrufen des Klimanotstandes habe vor allem eines bewirkt, so Bonde, es hat „kommunalen Klimaschutz in die Mitte der Aufmerksamkeit gerückt, hat hier die notwendige Priorisierung eingeräumt“. Ins selbe Horn stößt auch Cornelia Rösler: „Mir persönlich ist es völlig egal, wie man das nennt. Es ist einfach gut, dass wir aus dieser Nische raus sind, aus der wir immer nerven müssen, Klimaschutz zu machen, und von den anderen nicht gehört werden. Das ist jetzt eine tolle Sache. Deshalb lassen Sie uns den Schwung nutzen.“

Konstanz als Vorreiter

Der einstimmig gefasste Beschluss des Konstanzer Gemeinderates, der als erster für eine deutsche Stadt den Klimanotstand ausrief, ist kein Notstand im rechtsverbindlichen Sinne, soll aber mehr sein als nur Symbolpolitik. Vielmehr will das Stadtgremium am Bodensee bei allen seinen Entscheidungen die Auswirkungen auf das Klima berücksichtigen und Lösungen bevorzugen, die sich positiv auf Klima-, Umwelt- und Artenschutz auswirken. So sollen in Konstanz beispielsweise schon bald die klimaneutrale Energieversorgung von Neubauten, ein neues Mobilitätsmanagement oder ein Energiemanagement für städtische Gebäude verabschiedet werden. Oberbürgermeister Uli Burchardt kündigte sogar an, auf seinen Dienstwagen zu verzichten. „Wird hart für mich ;-)“, twitterte der 49-Jährige drei Wochen nach dem Ausruf. Als OB will und muss Burchardt mit gutem Beispiel vorangehen. Zudem soll der Konstanzer CDU-Politiker im halbjährlichen Rhythmus Rat und Öffentlichkeit über Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes informieren.

Verzicht auf klimaschädliche Vorhaben

Auch in Osnabrück wird der Stadtrat „die Auswirkungen auf das Klima bei relevanten Entscheidungen stärker berücksichtigen“ und „Lösungen bevorzugen, die sich positiv auf den Klimaschutz auswirken.“ So heißt es in einer Beschlussvorlage vom November 2019, die zwar nicht wie in Konstanz vom „Klimanotstand“ handelt. Aber sie bedeutet fast dasselbe. Denn für jede der jährlich rund 800 Entscheidungsvorlagen muss künftig auch über deren Klimabelastung befunden werden. „Soweit wir wissen“, sagte Gerdts gegenüber der Tageszeitung taz, „sind wir die erste Kommune, die dafür ein Verfahren entwickelt hat.“ Und das geht so: Gibt es für die Beschlüsse positive oder negative Auswirkungen für den Klimaschutz, und dauern die mehr als ein Jahr an mit mehr als 10 t CO2-Emissionen pro Jahr, dann tritt Gerdts’ Fachressort auf den Plan. Sind die Beschlussvorlagen bis zu fünf Jahre und länger „relevant negativ“ und verursachen bis 400 t CO2-Ausstoß pro Jahr und darüber, erarbeitet Gerdts Team „klimaverträglichere Alternativen“. Wenn es ganz schlimm kommt, kann sein Fachbereich auch den „Verzicht“ auf das klimaschädliche Vorhaben empfehlen.

Umweltschützer fordern Klimaschutz als Vetokriterium

Umweltschützer würden da gern noch weitergehen. „Klimaschutz muss ein Vetokriterium sein“, sagt Dirk Jansen vom BUND in NRW. Er meint damit: Klimaschädliche Projekte sollte man standardmäßig ablehnen. Ein neues Baugebiet dürfte die Kommune nach Auffassung des BUND nur mit Auflagen für Solarstrom, Dachbegrünung und Energieeffizienz genehmigen. In Köln werden alle Beschlussvorlagen mit Auswirkungen auf das Klima gekennzeichnet – bei klimaschädlichen Projekten will die Stadt über Alternativen nachdenken. In diese Richtung gehen auch die Pläne der Stadt Herne: Sie will alle städtischen Vorhaben im Hinblick auf die Folgen für das Klima prüfen und Standards für klimagerechte Bauprojekte entwickeln.

Weckruf an die Bundesregierung

Bundesweit lautet das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, also keine Treibhausgase mehr auszustoßen beziehungsweise entstehende Emissionen zu kompensieren. Mit dem Ausrufen des Klimanotstandes haben viele Städte in NRW dieses Ziel nochmals unterstrichen – einige haben sich ehrgeizigere Ziele gesteckt. Düsseldorf hat zusammen mit dem Klimanotstand erklärt, bis 2035 klimaneutral werden zu wollen. Bonn hat sich im Dezember ebenfalls dazu entschieden. In Köln sieht der Fahrplan noch das Jahr 2050 vor. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) will das Ziel aber deutlich früher erreichen.

Eigeninitiative im Klimaschutz

„Für uns bedeutet der Climate Emergency: schneller werden. Also das, was wir uns für 2050 vorgenommen haben, muss schneller und konsequenter umgesetzt werden. Wir sind aber am Anschlag unserer Kapazität. Wenn mehr gemacht werden soll und schneller, dann brauchen wir auch mehr Leute und mehr Geld“, sagte Kiels Klimaschutzmanagerin Anna Muche in Osnabrück.

Denn nur der bloße Ausruf spart noch keine einzige Tonne CO2 ein. Doch solcherart Erklärung ist ein starkes Signal an die Bürger. Zum Beispiel zum Ökostromanbieter zu wechseln. Oder weniger Fleisch zu essen und den ÖPNV statt das Auto zu nutzen und in den Zug statt in ein Flugzeug zu steigen. Oder wenn möglich, das alte Heizungsfossil im Keller auszutauschen. Die Kommune kann das fördern, darüber beraten und finanziell unterstützen. Genauso wie sie in ihrem eigenen Bestand zusieht, Energie einzusparen, Heizungen zu modernisieren und den kommunalen Fuhrpark CO2-arm auszustatten.

Klimanotstand als Hilferuf

Und nicht zuletzt ist der Klimanotstand auch ein Hilferuf. Eine Aufforderung an den Bund für eine wirksame Klimapolitik. Zum Beispiel ein viel ambitionierteres und schärferes Gebäudeenergiegesetz auf den Weg zu bringen als dieser schlaffe und schwache Entwurf, der derzeit die Runde macht. So gesehen ist der Klimanotstand auch ein notwendiges Wachrütteln.

Autor: Tim Bartels

Ein vierseitiges Interview mit den KlimaschutzmanagerInnen der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel lesen Sie im neuen  N-Journal, 2/2020.